Der Krieg in der Ukraine bewegt die Menschen. Ältere Bürger erinnert das an ihre Kindheit und Jugend, als der von Deutschland ausgelöste Zweite Weltkrieg nach Deutschland kam. Am 4. April 1945 tobten Kämpfe um Levern, Teile des Stiftsdorfes brannten nieder. Die Erinnerung an die Nazi-Diktatur und den Krieg möchte der Heimatverein Levern als Mahnung wachhalten.
Ein wichtiges Anliegen der Heimatfreunde war es, die Berichte von Augenzeugen aufzuschreiben und so für die Nachwelt zu erhalten. Dabei haben die Heimatfreunde nun ein wichtiges Projekt umgesetzt. Sie haben ein Tagebuch aus dem Jahr 1945 abgeschrieben und mit dem Druck einen wichtigen Augenzeugen-Bericht bewahrt.
Rückblende ins Jahr 1945. Karl Griese aus Dortmund ist 1943 in Dortmund ausgebombt worden. Griese war Schreiber gewesen und hatte für den Stahlkonzern Hoesch gearbeitet. Der Pensionär kam als Evakuierter nach Levern. Aus dem Stiftsdorf stammte seine Frau, eine geborene Langenberg. Karl Griese führte Tagebuch – über die Kriegsjahre bis etwa 1950. „Das Jahr des Zusammenbruchs“ heißt der Titel des Tagebuchs für das Jahr 1945.
Karl Grieses erste Station im damaligen Amt Levern war das Gasthaus Jobusch, die Familie war verwandt mit seiner Frau. Später wohnte er unter anderem im alten Amtshaus und in der „Löwenburg“. Detailliert beschreibt Griese die Ereignisse jenes Jahres, vor allem den 4. April 1945. An dem Tag erreichten britische Streitkräfte Levern – und Levern sollte nach dem Willen der Nazi-Kreisleitung verteidigt werden. Junge deutsche Soldaten, manche keine 18 Jahre alt, schlecht ausgebildet und schlecht bewaffnet, sollten britische Panzereinheiten aufhalten.
Griese beschreibt genau, was an diesem Tag geschah – etwa vom Versuch deutscher Soldaten, sich Fahrräder zu organisieren, um mit ihren Panzerfäusten nach Bohmte zu radeln. „Also wird hier doch der blödsinnige Widerstand geleistet“, notiert Griese. Griese selbst steht dem Nazi-Regime ablehnend gegenüber. Er hat die Bevölkerung aber über Jahre genau beobachtet – und deren Einstellung zu Hitler. „Heute wird dem ,von Gott gesandten Führer‘, dem so laut ,Hosiannah‘ zugebrüllt worden ist, von allen Seiten das ,Kreuziget ihn‘ zugerufen. Hätte man das doch schon vor zwölf Jahren getan!!“
Die Tagebücher von Karl Griese hat Gerd Langenberg aus Levern aufbewahrt. Langenberg erinnert sich noch daran, als kleines Kind in Levern zwischen den Flammen gestanden zu haben. „Das vergisst man nicht.“ Zwei Geschwister und er hätten am Eingang des Kellers des Langenbergschen Hauses gestanden. Ein deutscher Soldat sei auf sie zukommen und habe ihnen gesagt, sie sollten wegen der Schüsse im Keller bleiben. Der Mann sei wenige Meter weitergegangen und sei dann von einer Kugel tödlich getroffen worden.
Das schilderte Langenberg auch während eines Rundgangs, zu dem der Heimatverein Levern anlässlich des 70. Jahrestages des Kriegsendes eingeladen hatte. Dabei machte Gerd Langenberg auch Heimathaus-Leiter Heinrich Rust auf die Tagebücher aufmerksam. Rust las zuerst das Buch aus dem Jahr 1945. „Wenn das die Gestapo gewusst hätte, wäre Griese gehenkt worden“, meinte Rust angesichts der regimekritischen Aussagen. Das wusste offenbar der Autor auch. Der schrieb selbst, dass es seinem verschwiegenen Umfeld zu verdanken sei, dass er nicht ins KZ kam.
Angesichts des schlechten Zustands des Tagebuches mit Papier aus dem Jahr 1945 entschlossen sich die Leverner Heimatfreunde, das Buch für die Nachwelt zu erhalten und es abzuschreiben. Diese Aufgabe übernahm Hartmut Kämper, Helmut Gude überarbeitete das dann. „Es war eine interessante Arbeit“, sagten Gude und Kämper. Das Original habe einige Seiten, bei dem die Papierqualität so schlecht war, dass der Text kaum noch lesbar gewesen sei, merkte Kämper an.
Ortsheimatpflegerin Karin Klanke, Museumsleiter Heinrich Rust und der Vorstand des Heimatvereins dankten Hartmut Kämper, Helmut Gude und Gerd Langenberg für ihre Engagement. In Deutschland und anderen Ländern gebe es wieder nationalistische Bewegungen, meinte Rust mit Blick auf die Reichsbürger-Bewegung. Nationalismus sei nicht weit weg und habe in der Konsequenz auch in Levern einiges hinterlassen, sagte er mit Blick auf den 4. April 1945.
Karl Grieses Tagebuch sei eine Primärquelle, der Bericht eines Augenzeugen, merkte der Vorstand an. Es sei ein unverstellter Blick auf das Jahr 1945. Das mache das Tagebuch so wertvoll. Auch gebe es nach wie vor nationalistische und extremistische Bewegungen. Das Tagebuch zeige auf, wohin das führen könne, so der Vorstand. Der Zeitzeugen-Bericht mahne vor dem Hintergrund des heutigen Extremismus, dass Frieden und Demokratie nicht selbstverständlich seien und man sich jeden Tag dafür einsetzen müsse.